Zwangsarbeiter in Villmar

Von Lydia Aumüller

Das Thema Zwangsarbeit gehört zu den dunkelsten Kapiteln der 950-jährigen Geschichte Villmars.
Im Zweiten Weltkrieg wurden fast alle Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe oder deren Söhne zur Wehrmacht eingezogen. Der Mangel an deutschen Arbeitskräften in der Landwirtschaft führte auch in Villmar vermehrt zur Beschäftigung von Ostarbeitern, die durch das Arbeitsamt in Limburg vermittelt wurden. Über 100 polnische und russische Frauen und Männer, ja oft auch ganze Familien, arbeiteten in der Kriegszeit vorwiegend in den Domänen-Höfen, Ober- und Untergladbach und Traisfurt, aber auch bei Bauern im Ort.

Alle Vermittelten wurden bei der Gemeindeverwaltung unter Angabe ihres Arbeitgebers registriert. Sie kamen zum Teil aus den Lagern Diez, Heddernheim, Kelsterbach oder Weißenthurm. Trotz allen leidvollen Erfahrungen waren sie froh, einem menschenunwürdigen Lagerleben entronnen zu sein. Bei den bäuerlichen Betrieben hatten sie familiären Anschluss, obwohl dies behördlicherseits nicht gefördert wurde.

Überwachung

Aus vorhandenen Unterlagen ist zu entnehmen, dass im September 1942 eine für das Reichsgebiet bestehende Anordnung „Überwachung fremdländischer Arbeitskräfte zur Begegnung volkspolitischer Gefahren" durch den Einsatz der Partei verschärft wurde. Auf Anweisung der Geheimen Staatspolizei- Leitstelle- Frankfurt hatte die NSDAP–Kreisleitung Oberlahn-Usingen in Weilburg insgesamt 79 besonders vertrauenswürdige politische Leiter und Parteigenossen benannt, welche die Überwachung in den Ortsgruppen des Kreises, mit Ausnahme der Gemeinde Langhecke, übernehmen mussten. Alle Überwachungsbeauftragten erhielten am 21. Dezember 1942 einen vom Landrat und Kreisleiter unterzeichneten Sonderausweis. In einer einmaligen Schulung, die am 7. Januar 1943 um 11.00 Uhr in einer Weilburger Gaststätte stattfand, verpflichtete der Leiter der Geheimen Staatspolizei Frankfurt die Ortsbeauftragten zur gewissenhaften Durchführung ihrer Aufgaben.

Die seelsorgerische Betreuung der polnischen Fremdarbeiter.

Der Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten hatte mit Zustimmung des Chefs der deutschen Polizei und des Sicherheitsdienstes am 23. Februar 1942 neue Vorschriften über die seelsorgerische Betreuung der im Reichsgebiet eingesetzten polnischen Zivilarbeiter erlassen.

Danach durften für dieselben am ersten Sonntag im Monat in der Zeit von 10-12 Uhr in Kirchen oder geeigneten profanen Räumen Sondergottesdienste abgehalten werden. Es musste allerdings unbedingt verhindert werden, dass polnische Zivilarbeiter an Sonntagsgottesdiensten in Nachbarbezirken, die zu anderen Zeiten stattfanden, teilnehmen konnten.

In dem neuen Erlass heißt es weiter: „Bei den Sondergottesdiensten ist grundsätzlich der Gebrauch der polnischen Sprache, auch das Absingen von Liedern verboten. Die Abnahme der Beichte in polnischer Sprache ist ebenfalls nicht gestattet. Es steht jedoch nichts im Wege, von der allgemeinen Lossprechung Gebrauch zu machen. Zur Vorbereitung auf die Lossprechung und die Kommunion dürfen die polnischen Texte aus den „Vollmachten für die Kriegsseelsorge" benutzt werden. Am Gottesdienst für die deutsche Bevölkerung dürfen Polen keinesfalls teilnehmen, andererseits ist der deutschen Bevölkerung die Teilnahme an

Sondergottesdiensten für Polen verboten. Anträgen auf Erteilung von Religionsunterricht oder zur Vorbereitung auf die Kommunion für Kinder polnischer Arbeiter ist grundsätzlich nicht stattzugeben. Eine kirchliche Trauung polnischer Zivilarbeiter ist nicht erlaubt".

Russische Zwangsarbeiterin nimmt nach 55 Jahren Briefkontakt auf

Im September 1944 trafen 54 russische Zwangsarbeiter, darunter die Familie Schlonskaya mit 6 Personen, mit einem Sammeltransport aus dem Lager Sangaste/Estland in Villmar ein, die im Lager „Plattenkauth" nahe bei Aumenau , Unterkunft fanden. Sie wurden der Außenstelle der 13. SS Baubrigade Sachsenhausen unterstellt und mussten Gleisbauarbeiten an der Lahnbahn ausführen, die bei Bombardierungen durch Alliierte Flugzeuge zerstört wurden. Bei diesen Angriffen starben auch 11 KZ Angehörige, sowie zwei SS Bewacher.

Alle russischen Zwangsarbeiter wurden bei der Gemeindeverwaltung in Villmar registriert. Deren Namen und Daten konnte die Autorin 1991 dem Internationalen Suchdienst in Arolsen zugängig machen.. Durch Briefkontakte, die vom Internationalen Suchdienst Arolsen und der russischen Föderation zwischen der Autorin und der heute in Petersburg lebenden 77-jährigen Zwangsarbeiterin Nina Wasilewna geb. Schlonskaya ermöglicht wurden wissen wir, dass nach deren Befreiung durch die Amerikaner im März 1945 die Insassen des Lagers „Plattenkauth" im Mai/Juni in ihre Heimatorte nach Russland zurückkehren konnten. Ninas Schwester Wera aber verstarb 20-jährig am 3. Mai 1945 im Lager „ Plattenkaut" an einem Nierenleiden. Sie liegt heute auf dem Sammel-Kriegsgräberfriedhof in der Stadt Runkel. Laut Mitteilung haben drei noch Lebende der Familie Schlonskaya bis heute keine Zwangsarbeiter-Entschädigung aus Deutschland erhalten.

 

Abb. Die Russische Zwangarbeiterin Nina Wasilewna geb. Schlonskaya von Petersburg war von 1941- 1945 in deutschen Lagern Abb. Wera Schlonskaya, die20-jährig im Lager verstarb.
Abb. Domänen-Hof Traisfurt, genannt "Beckert". Dort waren von 1939/45 insgesamt über 30 Polen und Russen im Einsatz. Luftbild von Villmar 1957
 Domänen-Hof Untergladbach. Sieben polnische und russische Arbeitskräfte unerstützten zeitweise die Pächterfamilie des Domänen Hofes. 10 Ostarbeiter waren in den Kriegsjahren zeitweise auf dem Domänen-Hof Obergladbach tätig.