Das
Nassauische Marmorwerk in Villmar an der Lahn
© Lydia Aumüller

Die Nassauischen
Marmorwerke im Jahr 1886
Lahnmarmor aus Villmar ist
heute in Gestalt von repräsentativen Gebäuden und Kunstwerken in aller
Welt zu finden. Die weite Verbreitung des Steins wäre ohne die
Industrialisierung, die im 19. Jahrhundert auch das Lahntal erreichte,
nicht denkbar gewesen. In dieser Epoche entwickelten sich größere
Firmen, die ihre Steinbrüche und Werkstätten mit Maschinenkraft
betrieben.
Die neuen Maschinen brachten in Villmar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
die Wende.
Sie erleichterten die Knochenarbeit in den Brüchen und Werkstätten
etwas, ermöglichten eine höhere Produktion, hatten aber einen Nachteil:
Sie kosteten viel Geld, das war aber in den einheimischen
Steinbearbeitungsbetrieben rar. Der "steinreiche" Gutsbesitzer
Salomon Marix aus Eltville nutzte die Gelegenheit zur Gründung der ersten
maschinell betriebenen Fabrik in Villmar. Marix soll Betreiber
des
Wiesbadener Spielkasinos gewesen sein und brachte, wie im Volksmund heute noch
verlautet, sackweise das Geld per Kutsche in seine "Residenz"
nach Eltville.
Er entschloss sich, in Villmar eine durch Wasserkraft maschinell
betriebene Marmorfabrik auf der linken Lahnseite zu errichten. Damit wurde
er den Steinmetzbetrieben vor Ort zum größten Konkurrenten. Im Dezember
1864 erwarb er eine Jahrhunderte alte Mahl- und Ölmühle mit den dazu
gehörenden Wohn-, Stallungs- und Scheunengebäuden sowie 18 Grundstücken
nahe der gemeindeeigenen Steinbrüche in der "Oberau" rechts der
Lahn für insgesamt 55 000 Gulden. Die günstige Nutzung der vorhandenen,
durch Wasserkraft getriebenen Räder der alten Mühle, ein arbeitsloses
Potenzial an Fach- und Hilfskräften in Villmar und Umgebung sowie die
Nähe der gemeindeeigenen Marmorsteinbrüche waren Ausschlag gebend für
die Investitionen. Salomon Marix ließ 1865 ein zweistöckiges Fabrikgebäude errichten. Es war 43 Meter lang und führte
den Namen "Nassauische Marmorwerke" in großen Lettern auf der
Lahnseite. Außerdem baute er zu der vorhandenen Wohnanlage ein Backhaus.
Bereits im Dezember 1865 verkaufte Marix die Gebäude- und Liegenschaften
an ( seinen Schwiegersohn ?) Julius Luville und dessen Ehefrau Emma geborene
Marix in Lyon sowie sechs weitere Teilhaber für 25 000 Gulden. Unter den
Teilhabern befand sich auch der Elementarlehrer Heinrich Batton, der die
Vertragsverhandlungen in Wiesbaden führte. Heinrich Batton wohnte mit
seiner Familie seit August 1861 in Villmar, wo er als Verwalter der Bergbau-Gesellschaft "Aurora" fungierte. Bis zu
seinem Tod 1911 stand er der neuen Fabrik als Direktor und einige Jahre
als Eigentümer vor.
Im Februar 1867 wurde an der Fabrik eine weitere Werkstätte in Betrieb
genommen. Die erwirtschaftete Rendite kann nicht so groß gewesen sein,
denn am 6. Dezember 1867 übernahm die "Societé Franco-Allemande
pour Exploitation des Carrieres de Marbre de VILLMAR s. Lahn Nassau"
(Franz.-Deutsche Gesellschaft zum Abbau der Marmorsteinbrüche von Villmar
an der Lahn) das Werk. Um den "Nassauischen Marmor", so wurde
der Lahnmarmor genannt, besser vermarkten zu können, gab man ihm
wohlklingende Namen wie "Bongard" für das grau und rosa-bunte
oder "Unica" für das dunkel- bis hellrote Gestein.
1870 schmückten die Arbeiter des Werkes die Villmarer Pfarrkirche mit dem
heute noch vorhandenen Marmorfußboden. Das Antependium des Hochaltares
erhielt eine Marmorverkleidung. Zwei kunstvoll aus Marmor gedrehte
Kerzenständer flankierten die Marmorstufen zum Hochaltar.
Das Marmorwerk hatte viele Besitzer
Bereits 1867 übernahm eine
deutsch-französische Gesellschaft mit Sitz in Frankreich den
Industriebetrieb. Der nächste Wechsel kam im April 1873. Damals ging das
Werk an die "Deutsche Bausteinindustrie" in Köln über. Die
Gesellschaft ließ die vorhandene Werkstatt vergrößern, eine
Stein-Schneiderei und eine großen Lagerraum einrichten. Die technische
Ausstattung war für die Zeit beachtlich: Neun größere und kleinere Sägegatter,
drei Tranchiersägen, eine Schleifmaschine, zwei Poliermaschinen, neun
Drehbänke und eine Bohrmaschine standen zur Verfügung. Das Unternehmen
beschäftigte rund 120 Arbeiter.
In dieser Zeit fertigte das Marmorwerk das Grabmal für Kaiser Lothar I.
in der St.-Salvator-Basilika in Prüm. Kaiser Lothar I., ein Enkel Karls
des Großen, regierte von 817 bis 855. Im September 855 klopfte der vom
Alter gezeichnete Kaiser an der Pforte des Klosters Prüm, um Mönch zu
werden. Er bestimmte die Abteikirche als seine letzte Ruhestätte. Schon
nach sechs Tagen ereilte ihn der Tod. Fortan ruhten seine Gebeine in einem
Hochgrab. Später wurde es geplündert und nach Bränden aus der Kirche
entfernt.
Die Gebeine Kaiser Lothars fand man 1861 beim Abbruch des Altares zusammen
mit weiteren Reliquien in zwei Behältern neben dem Altar. Der damalige
Dekan und Ehrendomherr der Kirche, Peter Christa (1855-1898), ließ in
Villmar einen Sarkophag aus schwarzem einheimischen Marmor und weißem
italienischen "Carrara" anfertigen. Am 21. April 1875 fand die
feierliche Beisetzung der Reliquien Kaiser Lothar I. in der neuen Ruhestätte
statt.
In Villmar kam es zum erneuten Besitzwechsel des Marmorwerks. Im September
1878 wurde der bisherige Direktor Heinrich Batton der neue Eigentümer der
gesamten Werksanlage. 85.000 Mark zahlte er dafür. Batton hatte
Schwierigkeiten mit der Konkurrenz. 1881 richtete er an den Königlichen
Minister für Handel und Verkehr in Wiesbaden die Bitte, seinen Einfluss
auf die Marmorfabrik in Diez geltend zu machen.
Die Fabrik in Diez könne ihre Waren zu Schleuderpreisen anbieten, weil
den dort arbeitenden Zuchthäusler ein Lohn von 60 bis 70 Pfennigen pro
Kopf und Tag gezahlt werde, beklagte Batton. Die Arbeiter in Villmar
erhielten aber 2,50 bis fünf Mark am Tag. Einige kleine Werkstätten vor
Ort wie Stilger und Meuser hätten darum ihr Geschäft aufgeben müssen,
andere qualifizierte Fachkräfte seien nach Amerika ausgewandert.
Nächster Eigentümer des Werkes wurde Victor Mayer aus Limburg, der den
Betrieb 1885 an die Holländer Carl Conen und Hendrik Brunier veräußerte.
Nach Auflösung der Personen-Gesellschaft zeichnet am 7. Mai 1886 Carl
Conen aus Heugelow, Provinz Gelderlande, Holland, als alleiniger Besitzer
der Nassauischen Marmorwerke verantwortlich. Ein erhaltenes Schreiben vom
25. August 1887 wirbt mit der modernen Werksanlagen an der Lahn:
"Eigene Marmorbrüche in 18 verschiedenen Sorten und Farben. Sägerei,
Schleif-, Polier- und Bohrmaschinen und Dreherei durch 120
Pferdewasserkraft. Rohblöcke und Platten jeder Dimension. Ausländischer
Marmor und Granit. Anfertigung aller vorkommenden Marmorarbeiten für Möbel-,
Bau- und Kunstgewerbe. Telegramme: Marmorwerke, Villmar."
Bereits am 20. August 1888 gingen die gesamten Anlagen in den Besitz der
Berliner Firma M.L. Schleicher über, die 1889 in der Villmarer
Pfarrkirche die beiden Nebenaltäre mit Marmor verkleidete und im Chorraum
Kommunionbänke aus mehrfarbigem Marmor errichtete. Als Geschenk stifteten
die Arbeiter und Beamten des Nassauischen Marmorwerkes ein kunstvoll
bleiverglastes Fenster mit biblischer Szene aus dem Leben des Heiligen
Paulus, das links im Inneren der Kirche angebracht wurde. Das übrige
Geschäft lief anscheinend nicht besonders gut. 1892 meldete das Werk
Konkurs an.
Die
Modernisierung verhalf dem Marmorwerk zu Großaufträgen
In
den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts gingen die Geschäfte nicht
besonders gut für die "Nassauischen Marmorwerke". Im Jahre 1892,
gerade 27
Jahre nach seiner Gründung, meldete das Werk Konkurs an und wurde von der
Firma Dyckerhoff & Neumann mit Sitz in Wetzlar übernommen. 152.250
Mark nebst einer noch vorhandenen Hypothek von Carl Conen in Höhe von 100
000 Mark war den neuen Herren das Werk wert.
Von der Marmorschleiferei zum Kunsthandwerk
Dyckerhoff & Neumann war 1879 von dem 28-jährigen Adolf Neumann in
Wetzlar als Marmorschleiferei gegründet worden mit Niederlassungen in
Hamburg, im Odenwald und in Berlin. Später kam noch die ehemalige
Zuchthaus-Marmorfabrik in Diez hinzu, die 1922 durch einen Brand zerstört
wurde. Ein eigenes Marmorlager im italienischen Carrara versorgte den
Betrieb mit dem gefragten weißen Gesteins, das sogar einem indischen
Maharadscha in Tagora geliefert worden sein soll.
Nach 1940 verlegte die Firma ihren Hauptsitz von Wetzlar nach Villmar. Zu
den verarbeiteten Werkstoffen gehörten – neben hiesigem Devonstein –
Marmor aus Italien, Belgien, Frankreich und Schweden, sowie Granit, Synit,
Muschelkalk und andere Gesteinsarten. Die Marmorschleiferei wandelte sich
zu einem kunsthandwerklichen Betrieb. Monumentale Säulen entstanden unter
den Händen der Arbeiter. Auch Statuen, detailreiche Denkmäler,
Grabsteine und edle Tischplatten wurden gefertigt. Zur Herstellung von
kostbaren Schmuckstücken, wie Uhrengehäusen, Vasen oder
Schreibtischgarnituren für eine betuchte Kundschaft, bezog man den
Halbedelstein Onyx sogar aus der Grube "La Peua" in Mexiko.
Das Werk an der Lahn wurde modernisiert. Neue Technik und bis zu 200
Arbeiter ermöglichten die Annahme von Großaufträgen. So wurde auch 1894
an der Marmorbrücke über die Lahn mitgebaut, zur deren Finanzierung
D&N mit einer Spende über 15 000 Mark beitrugen. Der Ruf der
Nassauischen Marmorfabrik reichte noch weiter: 1892 erhielt sie den
Auftrag, das Erbherzogliche Palais in Karlsruhe mit Marmor auszustatten.
Marmor aus Villmar für Großherzog Friedrich II.
Das für Großherzog Friedrich II. (1857-1928) und seine Gemahlin Hilda
von Nassau (1864-1952) errichtete Palais konnte nach fünf Jahren Bauzeit
eingeweiht werden, doch erst am 23. April 1903 hielten der Erbgroßherzog
und seine Gattin in diesem Prachtgebäude Einzug. Rötlich-grauer "Gretenstein"
aus Villmar und rötlich-graublauer "Borngrund" aus der Nähe
des Bodensteinfelsens schmückten das Innere des Palais.
Rote Marmorsockel mit elektrischen Muschelglühlampen zierten den
Durchgang von den Vestibülen zur Galatreppe. Die Türumrandungen im
ersten und zweiten Stock wurden aus dem blau-grauem Marmor gefertigt und
die glatt geputzten, mit Ölfarben gestrichenen Wände erhielten 85
Zentimeter hohe Konsolen aus dem gleichen Gestein.
Säulen wurden aus dem Villmarer Marmor für den Großherzog gefertigt.
Die Eingangshalle bestach durch eine massive Treppe aus "Hauteville-Marmor"
sowie 36 monolithischen Säulen und Wandverkleidungen, aber auch
Vasenpostamente aus "Gretenstein" und "Borngrund". Im
Mansardenstock zierten Marmor-Mosaikarbeiten den Bodenbereich.
Der Erste Weltkrieg hatte für den Monarchen verheerende Folgen. Herzog
Friedrich II. flüchtete im November 1918 ins Exil. Vom Palais verblieb
ihm nur das Inventar. Das Bauwerk verlor seine Bestimmung und wechselte
fortan mehrmals den Besitzer. Von 1933 an nutzten die Nationalsozialisten
das Gebäude zur Unterbringung des Reichsarbeitsdienstes. Die Villmarer
Marmorsäulen wurden im Treppenhaus von Hakenkreuzfahnen und einer Hitlerbüste
aus schwarzem Devongestein flankiert. Im Juli und September 1944 wurde das
Palais durch Bombenangriffe der Alliierten erheblich beschädigt. Nach dem Ende des Krieges erinnerte nur noch wenig an die ehemalige Pracht
des großherzoglichen Gebäudes. Nur die marmornen Säulen, Pilaster und
Balustraden des Galatreppenhauses hatten das Inferno überstanden. Nach
dem Wiederaufbau des zerstörten Bauwerkes und der Restaurierung der
herrlichen Marmorarbeiten aus dem 19. Jahrhundert wählte im Jahre 1950
der Bundesgerichtshof das historische Gebäude als sein Domizil.
Viel
Arbeit, schmaler Lohn
Ein
Großprojekt im fernen Berlin beherrschte 1904 die Auftragsbücher der
"Nassauischen Marmorwerken". Beträchtliche Mengen des Gesteins
aus dem Villmarer Werk, das die Firma Dyckerhoff & Neumann 1892 übernommen
hatte, wurden im Berliner Dom verarbeitet.
Den Grundstein für den monumentalen Zentralbau legte Kaiser Wilhelm II.
im Jahre 1894. Der Erbauer des Doms, Julius Karl Raschdorff, verwendete
bei der Ausführung des Millionen-Projektes im Inneren des Gebäudes
Marmor neben anderen kostbaren Materialien. Massive Türgewände aus rotem
Marmor zieren die Haupttüren zur Tauf- und Traukirche, deren Altar
ebenfalls aus Lahnmarmor gefertigt ist.
Zur Ausstattung des Treppenhauses in der südwestlichen Ecke des Domes
bevorzugte der Erbauer ebenfalls den heimischen Marmor. Das für Pilaster,
Balustraden und Säulen, Wandverkleidung und Bodenbelag des Treppenhauses
verwendete Material stammt aus den Brüchen "Unica A" , "Gretenstein´"
und "Bongard" sowie "Schupbach schwarz". Beim Aufgang
zur Kaiserlichen Empore präsentierten sich die rotglänzenden Marmorsäulen
mit ihren weißen Sedimenten.
Trotz der guten Auftragslage blieben die Löhne der Arbeiter im
Nassauischen Marmorwerk bescheiden. Von 1906 bis 1914 lagen sie bei 22 bis
28 Pfennige in der Stunde. Fachkräfte verdienten ein paar Pfennige mehr.
Ein Schleifer erhielt pro Stunde 35, ein Säger 30, ein Hauer ganze 40
Pfennige. Ein Verdienst, der aus heutiger Sicht ein Hungerlohn war. Doch
die Devise der vielen ungelernten Arbeitskräfte von damals hieß: Lieber
ein kläglicher Tageslohn als arbeitslos.
1907 erhielt das Werk einen neuen Großauftrag für die Erweiterung des
Kurhauses in Wiesbaden. Die Firma Dyckerhoff & Neumann lieferte alle
Marmorarbeiten zur Ausstattung des großen Konzertsaales (Friedrich v.
Thirsch-Saal) sowie der Lese-
und Konversationszimmer. Der große Saal bekam 24 mächtigen Säulen und 12 quadratischen Eckpfeilern
aus Marmor. Dreiteilig zusammengesetzt mit rund sechs Metern Höhe, findet
diese Leistung heute noch Bewunderung.
Auch in Villmar wurde gebaut: Eine neue Werkstätte entstand 1907. 1911
ließ die Werksleitung das alte Mühlengebäude umbauen und eine
Turbinenanlage einbauen. Von 1912 bis 1914 stattete das Werk die
Eingangshalle des Landesmuseum in Wiesbaden mit vielfarbigem Lahnmarmor
aus. Zwei Säulen aus Bongard-Marmor flankieren die Brunnenkammer in der
Wandelhalle. In einem Verzeichnis der Firma Dyckerhoff & Neumann
werden Marmorarbeiten in Kirchen, Schlössern, herrschaftlichen Wohn- und
Landhäusern, Hotels, Bädern, Geschäfts- und Warenhäusern, Bahnhöfen
und Denkmäler aufgeführt, aber auch Marmor-Ausstattungen in
Dampfschiffen der Woermann-Ostafrika-Linie und andere
Schifffahrtsgesellschaften festgehalten.
Geschäfte
mit Demokraten und Diktatoren
Viele Bauwerke und sogar
die Ausstattung von Dampfschiffen standen um 1912 auf der Auftragsliste
des Nassauischen Marmorwerks in Villmar. Der Erste Weltkrieg und die
nachfolgende Inflationszeit setzten dieser guten Entwicklung ein Ende. Als
Ersatz für die Arbeit der Kriegsteilnehmer wurden Mädchen und Frauen zum
Schleifen und Polieren eingesetzt. Das Inlandsgeschäft ging nach dem
Krieg wegen mangelnder Kaufkraft erheblich zurück.
Die heimische Marmorindustrie richtete ihr Hauptaugenmerk auf jene Länder,
erträgliche Einfuhrmöglichkeiten boten. Um 1930 lieferte die Firma
Dyckerhoff & Neumann Marmor für das Kapitol in New-Orleans im
US-Bundesstaat Lousiana, sowie 70 Kubikmeter "Famosa" und 200
Kubikmeter Gaudernbacher Marmor zur Ausstattung des Empire State Buildings
in New York. Damals müssen amerikanische Experten vor Bestellung des
Marmors in Europa, also auch in Villmar, das Rohmaterial besichtigt haben,
bevor Natursteine von der New Yorker Fachfirma "William Braedley
& Son" im Innen- und Außenbereich angebracht wurden.
Das Marmorwerk machte allerdings nicht nur Geschäfte mit der ältesten
Demokratie der Welt. Auch die Nationalsozialisten begannen sich nach ihrer
Machtergreifung für den Marmor von der Lahn zu interessieren. Schließlich
hatte das Regime große Pläne für Prunk- und Protzbauten. Hitlers
Architekt Albert Speer besuchte mit einem Stab von zehn Uniformierten 1936
das Nassauische Marmorwerk, das einst von einem jüdischen Unternehmer
gegründet worden war, und überzeugte sich vor Ort von der Qualität des
Marmors.
Zu Speers Empfang wurde ein großes Transparent im Betriebsgelände mit
der Beschriftung aufgestellt: "Die Jugend des Werkes steht
geschlossen hinter dem Führer Adolf Hitler, nur eine nicht !" Und
diese eine war Barbara Müller, im Volksmund genannt "Schouster
Millersch Babi" aus der Lahnstraße in Villmar, die seit 1934 in der
Firma als Angestellte tätig war. Inzwischen zur Sekretärin des
Firmeninhabers Hermann Neumann avanciert, musste ausgerechnet sie den
Nazigrößen den Kaffee servieren. Nach dieser Inspektion erhielt die
Firma Großaufträge für Repräsentationsgebäude des Dritten Reiches.
Nur deutscher Marmor sollte in den Prachtbauten glänzen und deutschen
Firmen Aufschwung geben.
Eines dieser Vorzeigeprojekte war der neue Flughafen in Frankfurt. Im Mai
1936, rechtzeitig zum Olympiajahr, wurde dort der Flugverkehr aufgenommen.
Das Flugfeld wurde prunkvoll ausgestattet. Speer bestellte bei der
Nassauischen Marmorfabrik, Dyckerhoff & Neumann,

Eröffnung des Rhein -Main
Flughafens 1936
eine Stele aus grauem Schupbacher Marmor "Famosa" in der Höhe
von 8.50 Metern. Das Monument wurde mit dem Hoheitszeichen, einem Adler
mit Hakenkreuz, gekrönt. In den Kriegstagen war die Stele trotz
mehrfacher Bombardierung des Flughafengeländes mit mehr als 2000 Bomben
sowie Sprengungen bei Rückzugsgefechten der deutschen Wehrmacht verschont
geblieben. Nach dem Krieg kam die Wende. Das NS-Symbol hatte ausgedient und musste
verschwinden. Zwei Kranwagen wurden benötigt, um den Adler des
"Tausendjährigen Reiches" von der Marmorstele zu entfernen.
Nach dem Wiederaufbau des Flughafens und dem Neuanfang des Luftverkehrs,
hatten Deutsche erstmals am 2. März 1948 die Gelegenheit, nach Berlin zu
fliegen. Ein Grund, das erhalten gebliebene Marmorwerk auf dem
Flugplatzgelände mit einer Weltkugel und der Friedenstaube zu versehen,
als Symbol eines zukünftigen friedlichen, europäischen und
internationalen Frankfurter Lufthafens als "Tor zur Welt". Was
Bombenhagel im Krieg nicht vermochte, schafften später die
Verantwortlichen des Flughafens. Offensichtlich stand den Planern der
Erweiterung um 1965 die Stele im Weg. Nach Mitteilung des zuständigen
Leiters der Luftfahrt-Historischen Sammlung, Dr. Wurstrack
"landete" damals die Friedenstaube in einem gesicherten Verwahr,
während die Marmorstele einfach verschrottet wurde.
1937
erwarb die Firma Dyckerhoff & Neumann einen Teil des Betriebsgeländes
und Werksanlagen der ehemaligen Firma „Gebr. May“ in der Oberau. Wegen
des naheliegenden Bahnanschlusses wurde dort 1938 ein neue Arbeitshalle
errichtet und Lageraum für Marmorblöcke und -platten geschaffen. Genannt
seien Marmorarbeiten, die in den Jahren 1936 bis 1940 in Berlin getätigt
wurden: das Luftfahrtministerium, die Reichskanzlei, die Deutsche Bank
sowie das Stadion, in Nürnberg die Siegeshalle, in Limburg der Bau der
Autobahnbrücke. Hierbei wurde als Werkstoff neben dem heimischen Marmor
auch Marmor aus anderen Teilen Deutschlands verwendet. Mächtige
Steinquader aus Marmor lagen noch zur Verarbeitung vor Ort, als sie nach
dem Zusammenbruch Deutschlands 1945 von der US-Regierung beschlagnahmt
wurden.
Im
Kriegsjahr 1944 bis Kriegsende wurde ein Teil der Fabrik- und Lagerhallen
des Marmorwerkes von den Vereinigten Deutschen Metallwerken Frankfurt/Main
(VDM) beschlagnahmt und als Ersatzteillager für die Luftwaffe genutzt.
Werksangehörige der Firma D&N kamen als Arbeitskräfte für diese Rüstungsfirma
zum Einsatz. Die Gemeindeeigenen Marmorbrüche rechts der Lahn wurden von
der Wehrmacht ebenfalls beschlagnahmt und zum Sperrgebiet erklärt. Nach
der Einzäunung des über 52 000 qm großen Areals errichtete die
Wehrmacht Baracken als Behausung für ca. 400 Angehörige, die dort mit
der Herstellung technischer Gase für die „Wunderwaffe V 2“ beauftragt
waren. Als Lagerstätte dienten in die Felsenwand Richtung Schadeck
gesprengte Tunnels. Ein Teil davon wurde beim Abbau der Kalksteine durch
die Firma Krupp nach dem Kriege entfernt. Tunnelreste sind heute noch
vorhanden.
Weitere
Nachforschungen ergaben, dass viele Marmorarbeiten der Firma Dyckerhoff
& Neumann durch Kriegseinwirkungen vernichtet oder später durch Umbau
entfernt wurden, darunter das Reichstagsgebäude in Berlin, das
Luftfahrtministerium, die Naziprunkstätten in Nürnberg, Hotels und Bahnhöfe.
Nach dem Krieg und dem Wiederaufbau von Kirchen, Schlössern, Villen und
öffentlichen Gebäuden führte die Firma Dyckerhoff & Neumann
vorwiegend Restaurierungsarbeiten aus. Sie lieferte um 1960 für
Restaurierungsarbeiten in der Eremitage nach St. Petersburg 60 Kisten
geschnittene Lahnmarmorplatten.
1953
Arbeiter des Unternehmens gratulieren dem Firmenchef Hermann Neumann zum
Bundesverdienstkreuz
Im
Jahre 1967 sind zu nennen die Arbeiten im Chorraum des Würzbürger Domes
mit Altar, Fußboden, Sitzbänken und Sakramentshaus aus grauem
Schupbacher „Famosa“ Marmor. Als einen der letzten Großaufträge übernahm
die Firma 1974 die Wiedererrichtung des durch Kriegseinwirkung zerstörten
Marmorsaales im Schloss Bruchsal mit den Werkstoffen „Unica“ und „Bongard“. Nach
dem Tode des Firmenchef Hermann Neumann (*1877 + 1965) übernahm dessen
Enkel Hermann Gruhn (*22.9.1930) die Weiterführung des Werkes als Geschäftsführer
bis zu seinem frühen Tode am 6.9.1977 durch einen Verkehrsunfall. Die
Firma, die sich zuletzt „Dyckerhoff & Neumann KG Marmor- und
Natursteinwerk, Nassauische Marmorwerke Villmar/Lahn“ nannte, stellte im
Februar 1979 den Konkursantrag. Am 1. September des gleichen Jahres
schlossen sich die Tore der „Nassauischen Marmorwerke“ für immer. Während
die Gemeinde Villmar die Fabrikanlagen links der Lahn übernahm und die
alte Fabrik abriss, um Platz für die König- Konrad-Halle zu schaffen,
erwarb die Steinverarbeitungsfirma Emmerich/Hillen aus der Eifel die
Werksanlagen „Überlahn“ in der Oberau sowie vier
firmeneigene Marmorbrüche in Schupbach.
Ende
der Ära