Die „Nassauer" kämpften mit Blücher und Wellington gegen Napoleon
© Lydia Aumüller

Ein Villmarer Zeitzeuge berichtet über den Kampf bei Quatre-Bras und Waterloo

Nachdem Nassau, unter der Regentschaft von Herzog Friedrich August, seinen Beitritt zur Allianz gegen Napoleon erklärt hatte, wurden hier Landwehr-Bataillone ausgehoben, die über 40 000 Mann unter Waffen stellten. In den Reihen der nassauischen Truppen befanden sich auch 59 Villmarer Männer, die gegen Napoleon kämpften, nachdem dieser im Februar 1815 von der Insel Elba zu seinem zweiten Eroberungskrieg auf gebrochen war. In der Schlacht bei Waterloo war es den Nassauern zu verdanken, dass zusammen mit den Alliierten der endgültige Sieg über die Herrschaft Napoleons errungen wurde.

Zeitzeuge

Einer der Waterlookämpfer war Johann Peter Leonhard aus Villmar, der seine Erlebnisse in der Soldatenzeit, besonders den Kampf um Waterloo, um 1862 in aufzeichnete. Davon befindet sich ein 38seitiges Fragment im Besitz seines Urenkels, dem Bildhauer Ferdinand Leonhard, Eltville, der es freundlicherweise zur Auswertung einer Veröffentlichung zur Verfügung stellte.

Johann Peter Leonhard (Lehnhard) erblickte am 15. 10. 1793 als Sohn des Simon Leonhard und der Anna Maria geb. Bleul in Villmar das Licht der Welt. Er war von Beruf Steinmetz und stand von 1813 bis 1820 in militärischen Diensten.

Er diente zunächst im 4. Regiment Nassau und war von Weihnachten 1813 bis Anfang Mai 1814 bei der Belagerung von Mainz im Einsatz. Sein Regiment zählte 2700 Mann, die in vier Bataillone eingeteilt waren. Diese wurden im September 1814 in Schierstein in einem offenen Nachen eingeschifft und in Holland kurz vor Nievell an Land gebracht. Von dort aus ging es Ende September per Fuß nach der Festung Maastricht. Hier wurden sie dem 2. Regiment Nassau zugeordnet, das den Ruf eines Garderegimentes hatte. Während der Schiffsreise kursierte das Gerücht , dass sie von Maastricht aus in die holländischen Kolonien nach Ost- und Westindien verschifft werden sollten. Aber es kam anders.

Aufruhr

In der Festung Maastricht erhielten zunächst alle ankommenden Regiments-angehörigen neue Kleidung. Doch dann folgte ein unwahrscheinlich hartes Kasernenleben, in dem die Männer wie Sklaven behandelt wurden. Freiheitsentzug, schlechtes Essen und Unterkunft bei Wanzen, Ratten und Mäusen führten zu Streitigkeiten mit den Holländern und schließlich zum Aufruhr. Dabei gab es Tote und Verwundete. Dreizehn holländische Husaren wurden von den Nassauern über die Brücke in den Maas geworfen und kamen zu Tode. Als Strafe erhielten die Nassauer Kasernenarrest, das hieß: Ausgangsverbot, schlechte Besoldung und eiskalte Unterkunft, so dass viele bis zur Erblindung erkrankten. Jeder war froh, wenn er durch einen Befehl zur Wache vorübergehend diesen Verhältnissen entkam.

Krieg

So auch Johann Peter Leonhard, der am 28. März des Jahres 1815 am Osttor der Festung Wache stand. Gegen 1 Uhr nach Mitternacht erhielt er von einem ankommenden Reiter-Kurier eine Depesche, die er sofort an die Vorgesetzten weiter gab. Sogleich ließen diese die Trommeln Alarm schlagen. Das 2. Regiment Nassau, zu dem Leonhard gehörte, musste rüsten, um im Eilmarsch nach Charleroi , einer Festung an der Grenze zwischen Belgien und Frankreich, die von Franzosen besetzt war, zu marschieren. Trotz der Strapazen waren viele froh, der „Rattenkaserne" zu entfliehen. Es kam jedoch schlimmer als erwartet. Die Anstrengungen des dreitägigen Marsches mit „Sack und Pack" kosteten bereits bis zur Ankunft in Charleroi und der Umgebung bei Odellenwall 48 Männern das Leben. In Odellenwall, 3 Stunden von Nievell, der Hauptstadt von Flandern, lagerte das Regiment vom 1.April bis zum 15. Juni 1815 im Feldquartier unter freiem Himmel. Von Gewitterregen durchnässt, stellte sich bei vielen Verdrossenheit und Mutlosigkeit ein

Das Villmarer Lied

Der kommandierende Hauptmann Ebel wollte dies beheben und befahl Johann Peter Leonhard, ein ihm bekanntes, „Villmarer Lied" anzustimmen. Man formierte eine Kompanie zu einem Kreis, und alle sangen mit Leonhard:

„Als Lazarus gestorben war, da trauerten um ihn seine Schwestern Susanna, Chatarina, Philippina, bei der Windmühl geht der Weg hinaus"...........(Anmerkung: dieses Lied war bisher in Villmar nicht bekannt)

Nachforschungen von Bernhard Hemmerle, Villmar, brachten im Jahre 2007 zu Tage, dass  es sich  offenbar um ein Lied handelt, das aus dem Rheinischen stammt, und noch heute dort regional beim Verbrennen der sog. Kirmespuppe verwendet wird..-Vom Rheinischen aus gelangte das Lied sicher auch bald in unsere Region,  so dass es auch die Villmar kannten und sangen. Da es eine Art Kirchenmelodie war, kamen die Bewohner des Dorfes und entblößten ihre Häupter in der Meinung, die Soldaten hätten Gottesdienst.

Das Schlachtfeld

Doch dann wurde es ernst. Ein Kurier meldete: die „Stang brennt", das hieß, der Kampf begann. Mit geladenem Gewehr ging es im Sturmschritt auf eine Höhe, ungefähr wie vom Friedhof in Wiesbaden bis zur Platte, so Leonhard. Vor ihnen lag Quatre-Bras, eine wichtige Straßenkreuzung. Auf einer weiteren Höhe standen kampfbereit die Franzosen. Leonhard vergleicht das Schlachtfeld mir der Heimatflur

„Man stelle sich im Geiste auf die Runkeler Holzgräben, all wo man auf der Chaussee aus dem Runkeler Walde von Weilburg her kommt. Auf mittlerer Höhe der Holzgräben stand am 16.Juni 1815 die Alliierte Armee in Schlachtordnung aufgestellt. Gegenüber von uns war eine andere Anhöhe, ungefähr so ähnlich wie die Anhöhe der Horst, der Brecher Ufer, und wenn sich diese Anhöhe so fort belaufen würde bis gegen die Mitte des sogenannten Hufeldes. Auf dieser Anhöhe stand die französische Armee. Zwischen den beiden Anhöhen war die schöne ebene Fläche, wie z.B. das Brecher Loch, das Huchfeld, das Villmarer Oberfeld bis in die Heiderwiese, das Runkelerfeld. Nur muß man sich das Lahnthal dahier hinweg denken. So eine schöne Ebene war das Schlachtfeld von Waterloo".

Beim Kampf waren die „ Nassauer" immer vorne, so Leonhard. In Karrees formierte sich das 2. Regiment zur Schlacht, verstärkt durch Bataillone der Oranier, der Holländer und einer Batterie Kanonen. Im Sturm ging es, bald links, bald rechts, bald vorwärts, bald rückwärts, gegen eine Übermacht der Franzosen, die neben Infanterie auch Kavallerie und Artillerie einsetzten. Es gab viele Tote, und die Soldaten mussten sich nach Odellenwall, ihrem Ausgangspunkt, zurückziehen.

Leonhard schildert eindrucksvoll weitere, blutige Kämpfe, die unter Mithilfe der englischen Infanterie, Kavallerie und Artillerie, aber auch durch den Einsatz der Schotten, Braunschweiger und Hannoveraner stattfanden .

Dazu kam das 1. Regiment Nassauer, das von Brüssel in 16 Stunden im Sturmschritt zum Schlachtfeld angerückt war. Die Franzosen konnten dadurch zurückgeschlagen werden.

Am 17. Juni 1815 morgens gegen 7 Uhr kamen zu dem Donnern der Kanonen schwere Gewitter mit Regen, so dass die Kampftruppe in wenigen Minuten bis zu den Knöcheln im Wasser stand. Sie mussten sich abermals zurückziehen und einen angeschwollenen Bach „Genap" genannt durchschwimmen. Hierbei fanden viele Soldaten den Tod. Für den weiteren Kampf erhielt jeder Mann in aller Eile 80 scharfe Patronen und neue Feuersteine. Als die Vordersten marschierten wieder die Nassauer in die Mitte des Schlachtfeldes gegen den Feind. Zehn Fuß hinter diesen standen die Kanonen der Engländer die über ihre Köpfe feuerten. Die Franzosen erwiderten ebenfalls mit Kanonenfeuer bis zum Einbruch der Dunkelheit. In der Nacht wurde das Feuer von beiden Seiten eingestellt.

Gegen 3 Uhr morgens am 18. Juni ließ das Regenwetter nach. Die Soldaten konnten Lebensmittel fassen, Feuer machen und in Kesseln Fleischsuppe kochen. Zum Essen kam es allerdings nicht, denn die Trommeln schlugen abermals Alarm.

„ Kessel ausschütten" hörte man von allen Seiten. Alle blieben hungrig, und ihre gute Suppe lag auf dem Feld. Dann ertönte das Kommando: „Erstes Bataillon vom zweiten Regiment Nassau voran". Im Sturmschritt marschierten sie zum Hofgut Hougoumont, genannt Belle Alliance, das ein Haupthaus hatte, wie das Villmarer alte Rathaus mit einem Türmchen. Das Gut lag im Zentrum des Schlachtfeldes. Sie konnten es besetzen, die Tore verschließen und sich darin verschanzen.. Vier Angriffe der Franzosen zur Eroberung des Hofes wurden von ihnen tapfer abgewehrt.

Mit Blücher und Wellington, Leonhard berichtet

„Für mich waren die Kämpfe wie der Weltenuntergang: Die Erde und der Himmel bebten. Als die Franzosen zum 5. Male Hof Hougemont angriffen und bis in die Mitte des Hofes vordrangen, begann der fürchterliche Kampf Mann gegen Mann. Bei dem unbeschreiblichen totschlagen, -stechen und -schießen dachte ich nur noch an den Tod. Als die Gefahr am allergrößten war, erschien Fürst Blücher mit seinen tapferen Preußen und fiel den Franzosen an deren rechten Flügel in die Flanke. Zur gleichen Zeit rückte Herzog Wellington mit den Engländern im Sturm auf den linken Flügel des Gegners und auf die Mitte von Hof Hougoumont. Der gemeinsame Riesenkampf gegen die Franzosen führte schließlich zum Endsieg. Bezahlt mit dem Blute vieler Toter und Verwundeter von beiden Seiten, auf dem Schlachtfeld lagen. Zurück blieb ein total zerstörtes Hofgut, dessen ehemals baumbepflanzte Umgebung dem Erdboden gleich war. Nur durch Gottvertrauen und Gebete habe ich die schrecklichen Tage der blutigen Schlachten mit Todesängsten überstanden".

Einzug in Paris

Siegesbewusst, mit geladenen Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten, marschierten die „Nassauer" durch Frankreich bis Paris, der Hauptstadt der Franzosen, die sie am 1. Juli 1815 erreichten. In den umliegenden Ortschaften lagerten sie als Siegertruppe, um sich von den großen Strapazen auszuruhen. Ihr Hauptmann Ebel, unter dessen Kommando Leonhard stand proklamierte am 30 Oktober 1815:

„Leute!, der Krieg ist jetzt zu Ende, zu dem wir seit dem 29 März d.J., als wir aus Maastricht ausmarschiert sind, sehr vieles ausgestanden; wir haben Eilmärsche gemacht, Hunger und Durst, Not und Mühseligkeit aller Art ausgestanden; wir haben die großen Schlachten bei Quatre-Bras und Waterloo mitgemacht, allwo sich meine Companie besonders im Hof Hougomont tapfer ausgezeichnet hat, wovon wir alle Ehre haben. Wir haben viele von unseren Kameraden verlohren, auch viele von denselben liegen heute noch in den Hospithälern, und müßen ihre Schmerzen ausstehen. Wir dagegen, wie wir heute noch hier beisammen, wir sind auf allerhöchsten Befehl hierher in die Ortschaften zum Einquartieren verlegt worden, um uns 4 bis 5 Wochen von unseren harten Strapazen, welche wir ausgestanden haben, uns wieder ausruhen zu können......".

 

Johann Peter Leonhard erhielt zusammen mit seinem besten Kameraden Johann Schmitt in einer größeren Ortschaft ein Quartier zugeteilt, das einem alten Stall ähnlich sah. Das Haus war mit Stroh gedeckt. Der Boden eines Raumes bestand aus Wackersteine. In der Mitte brannte ein offenes Feuer. Es war das Zuhause eines alten fast blinden Paares, von denen sie aber freundlich empfangen und bewirtet wurden. Die weiteren Aufzeichnungen bis zur Entlassung aus dem militärischen Dienste und der Heimkehr nach Villmar um 1820 waren bisher nicht auffindbar.

Waterloo-Medaille

Leonhard erhielt, wie seine Kameraden die von Herzog Friedrich August gestiftete Waterloo-Medaille als Auszeichnung, die er mit berechtigtem Stolze bei einer späteren Fotoaufnahme präsentiert. Sie befindet sich noch heute im Privatbesitz.

Ehrendes Gedenken.

Dass Johann Peter Leonhard seine toten Kameraden nicht vergessen konnte, hält ein Dokument im Pfarrarchiv Villmar aus dem Jahre 1848 fest. In einem dreiseitigen gedruckten Bericht mit der Überschrift: „Zuruf an die Villmarer", nennt er 59 Villmarer Kriegsbrüder namentlich, die in den Jahren 1800 bis 1815 in den Feldzügen in Deutschland, Spanien, Frankreich , besonders in der großen Entscheidungs- schlacht am 16,17, und 18. Juni 1815 bei Waterloo, sowie in den Weltteilen Asien, Amerika und Australien gekämpft hatten.

Noch lebenden Krieger: am 20. Januar 1848.

Aumüller Adam, Brahm Adam sen., Kaßpari Adam, Dornuff Johann, Ewig Jacob, Flach Jacob , Geis Peter, Schreiner, Hammerschmidt Adam, Höhler Phillip, Istel Adam und Jacob, Simon Johann, Kullmann Caspar, Kasteleiner Niklaus, Flach Joh. Wilhelm, Leonhardt Heinrich, Leonhard Johann Peter, Laux Johann, Löw Christian, Stilger Jacob, Schmidt Joh, Schäfer, Schmitt Gottfried, Schmidt Jacob, Kiefer, Tuchscherer Wilhelm, Thorn Christian, Philipp Höhler, Zimmermann Johann, Weyand Johann, Schuhmacher, Way Jakob, Wagner Simon und Roth Johann zu Limburg,

Vor dem Januar 1848 gefallene und verstorbene Krieger:

Werner Johann, Caspari Anton, Caspari Gottfried, Falk Johann, Kaspari Adam Kastleiner Adam, Mallabre Gottfried und Hermann, Lenau Heinrich, Brahm Gottfried, Anton, und Simon, Fluck Simon, Dornuff Simon und Heinrich, Wagner Gottfried und Simon, Flach Johann Wilhelm, Eufinger Michael, Schneider Anton, Bleuel Gottfried, Krämer Jakob, Lindig Heinrich, Löw Jacob, Beichert Anton, Roßbach Anton vom Gladbach, Roßbach Johann, Leonhard Jacob und Dommermuth Anton.

Johann Dornuff

Unter den benannten Waterlookämpfern befand sich auch Johann Dornuff.( Dornauf, Dornof), dessen Entlassungsschein aus dem Herzoglich Nassauischen Kriegsdienst heute von seinem Nachkommen Herbert Schulze, Villmar, verwahrt wird. Johann Dornuff wurde am 6. September 1793 als Sohn des Simon Dornoff in Villmar geboren. Er war von Beruf Wagner und stand in herzoglichen Militärdiensten. Er diente vom 16 Dezember 1813 bis 9. Dezember 1819 im 2. Infanterieregiment Nassau, und ersten Bataillon der Jägerkompanie als „ braver Corporal", registriert mit der Nummer 2780. Nach seiner Entlassung aus dem Stabsquartier Breda in den Niederlanden am 7. Januar 1820 gehörte er, so das Herzoglich-Nassauische Kriegs-Collegium in Wiesbaden, ab 24.Dez.1820 zur Veteranen-Kompanie ( Johann Dornuff starb in Villmar, im Jahre 1861).

Johann Peter Leonhard bat in seinem Aufruf die 30 noch lebenden Kameraden, sowie die Angehörigen der 29 Gefallenen und in der Heimat Verstorbenen, um die Einrichtung der Stiftung eines Seelenamtes für die tapferen Krieger, das alljährlich in der Villmarer Pfarrkirche als ewiges Andenken gehalten werden sollte. Ob diese Stiftung zustande kam und wie lange sie Bestand hatte, ist nicht bekannt.

Der Patriot Johann Peter Leonhard war in Villmar eine anerkannte Persönlichkeit und über die Grenzen als außergewöhnlicher Marmor-Steinhauermeister bekannt. Nach einem erfüllten Leben starb er am 23. März 1873 mit fast 8o Jahren.