Marmor aus Seelbach und Schupbach glänzt in der Rotunde des Biebricher Schlosses Wer sich in der Landeshauptstadt Wiesbaden auf Spurensuche nach verarbeitetem Lahnmarmor aus den vergangenen Jahrhunderten begibt, wird reich belohnt. Hier bevorzugten die weltlichen und geistlichen Herren zum Bauen den Naturwerkstein aus dem nassauischen Land nicht allein wegen der Schönheit, sondern auch um ihre gesellschaftliche Stellung zu demonstrieren. Der Glanz der steinernen Zeugen ist heute noch in der Russischen Kapelle, im Kurhaus insbesondere dem Christian-Zais- und Friedrich-von-Thiersch-Saal, im Staatstheater, im Hessischen Landeshaus und Landesmuseum, in der Lutherkirche, in Hotels und Privatvillen, aber auch im Biebricher Schloss zu bewundern. In diesem anmutigen Barockschloss befindet sich heute der Sitz des Landesamtes für Denkmalpflege. Am 9. September 2001, dem Tag des offenen Denkmals, wurden dort zwischen 10.00 und 16.00 Uhr die Türen der Rotunde für Besucher geöffnet. Eine Gelegenheit, die Interessierte nutzten, um die prachtvollen Säulen und Marmorpilaster des Festsaales in Augenschein zu nehmen. Ansonsten ist dieser schmucke Raum der Hessischen Landesregierung und besonderen Festveranstaltungen vorbehalten. Lahnmarmor — woher kam dieser Naturstein? Sind die Lagerstätten des 380 Millionen Jahre alten Werksteines noch existent? Wer hat die Prachtexemplare geschaffen? Fragen, die zu ausgiebigen Forschungen anregen. Ein Versuch lohnt sich, denn mit viel Geduld und Glück kann man in Privat- und Staatsarchiven, bei Fachfirmen und Zeitzeugen fündig werden. Den Auftrag zur Planung des Biebricher Lustschlosses hatte Georg August Samuel, Fürst zu Nassau-Idstein, Anfang des 18. Jahrhunderts dem jungen Militärbaumeister Johann Maximilian von Welsch erteilt, der im Zentrum der Anlage einen Rundbau des Hochbarock mit einem Festsaal für höfisches Leben konzipierte. Wie viele Barockfürsten jener Zeit bevorzugte der Auftraggeber für den Innenausbau des Saales Marmor als Baumaterial, der den mit Deckenfresko sowie mit Nischen und Statuen geschmückten Prunkraum erheblich bereicherte.
Am 23. Januar 1714 erhielt der Diezer Steinhauermeister Egidio Mäcine den Auftrag für das Brechen von acht Säulen, „zu jeder Säule das Schaftgesims von zwei Stück, jedes lang 4 Schuh, breit 2 Schuh, hochl 1/2 Schuh" aus schwarzem Runkeler Marmor (gemeint ist Schupbach, das zu Runkel gehörte). Nach erhaltenen Aufzeichnungen im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden muss der Vertrag geändert worden sein, denn laut Angabe des „Wiedt Runklischen Canzley Direcktors" vom 10. August 1714 benötigte man für das anschliche Gebäude zu Biebrich für ca. 400 Gulden schwarzen Marmor aus Schupbach, der ohne Zehnten für heimische Meister zur Abfolge kommen sollte. „Ausländische" Steinhauer mussten jedoch nach einer Verordnung für rohen oder bossierten Marmorstein aus den Gruben pflichtgemäß ihren Zehnten entrichten. Unter anderem heißt es: „Dem Steinmetz Nicolas Rock wird die Verpachtung des Rothen Marmors zu Seelbach verwilligt so viel er selbst für seine Arbeit braucht." Vier Säulen aus Seelbacher rotem Gestein (mit weißen Sedimenten) fertigte denn auch Meister Nicolas Rock für einen Lohn von 710 Gulden. Dazu erhielt er in Naturalien acht Malter Korn und vier Ohm Bier. Marmormeister Egidius Mäcine aus Diez erhielt laut Akkord für vier Marmorsäulen 850 Gulden. Möglicherweise hat er dafür auch Naturstein aus einem Diezer Bruch geliefert, der dem Gestein des Seelbacher „Rothen" nahe kommt. Das Polieren aller Säulen übernahmen die Steinhauer Philipp Sattler (Idstein) und Thomas Mohr für 1.600 Gulden, 20 Malter Korn, 16 Malter Gerste, Kohlen und freies Quartier vor. Von Steinhauermeister Jakob Weydemann (*3.12.1648 in Winterthur/Schweiz6) ist bekannt, dass er wie seine beiden Brüder, Johann Theobald und Peter Weydemann (Weidenmann), ebenfalls Steinhauermeister, in Schupbach sesshaft wurde. Meister Jakob lieferte für die Marmorsäulen im runden Saal acht Sockel aus schwarzem Schupbacher Gestein, für die er 75 Gulden erhalten sollte. Genauere Angaben dazu hält ein weiterer Arbeitsvertrag „wegen einiger Steine oder Säulen für das Schloss Biebrich" fest, der am 7. September 1717 in Idstein eigenhändig mit „Jacob weydtenman stein Hauer ihn schupbach" unterzeichnet wurde. Wörtlich heißt es:
Laut obigen Vertrages sollte Meister Jakob Weidemann zunächst zwei weiße Säulen in einer beträchtlichen Höhe für den sogenannten „runden Saal" schaffen. Wenn die verlangten Probestücke gute Steinergebnisse brachten, wurde die Lieferung weiterer Säulen ins Auge gefasst. Heute wissen wir, dass nur acht Prachtsäulen im runden Saal präsent sind. Demnach kam die vertragliche Vereinbarung mit Meister Jakob Weidemann nicht zustande. Möglicherweise konnte auch dieser Akkord wegen gesundheitlicher Probleme des Meisters nicht verwirklicht werden, da er laut Schupbacher Sterberegister am 11.2.1719 verstarb. Dem ausdrücklichen Hinweis auf weißen Marmor ist zu entnehmen, dass damals nicht nur schwarzer, grauer und bunter Marmor in Schupbacher Erde schlummerte sondern auch die Existenz eines weißen Marmorbruches belegt ist. Er ist heute wie viele andere verwaist und von Gestrüpp überwuchert, an den lediglich noch die Flurbezeichnung „weiße Gräben" erinnert. Die bunten Marmorpilaster in der Rotunde von heute sollen aus herrschaftlichen Brüchen von Mudershausen sein. Sie wurden nach 1736 angebracht. Weitere Nachforschungen haben ergeben, dass der Villmarer Schultheiß Höhler sowie die Vorsteher Johann Rufa, Wilhelm Müller, Philipp Grimm und Adam Dernbach 1829 in einem Schreiben an das Amt Runkel unter anderem folgendes festhalten: „In der Gemarkung Seelbach in einem Gemeindsberg Distrikt, Winkel, ist ein Marmorbruch, welcher rothe Marmor enthält, worin die Säulen, welche im Herzoglichen Schloss zu Biebrich stehen, gebrochen sind." Die Anzahl der Säulen wurde nicht vermerkt. Somit haben wir erneut einen Hinweis, dass auch nach über hundert Jahren die Herkunft 'von Marmorsäulen aus dem Seelbacher Bruch in aller Munde war. Der Villmarer Steinexperte Gerhard Höhler überprüfte kürzlich den Werkstoff der Säulen an Hand noch vorhandener Gesteinsproben gleicher Art und stellte fest, dass die Mehrzahl der dreiteiligen, rotweißen Marmorsäulen identisch sind mit dem bekannten Stein „Spitzwinkel", der früher in Seelbach und, nach der Ausbeute des Steinbruches, im angrenzenden Bruch der Gemarkung Aumenau lagerte. Die ca. 85 cm großen Postamente sind einwandfrei aus Schupbacher schwarzem Marmor. Die 35 cm hohen Basis, ebenfalls aus Stein, wurde bei der letzten Renovierung um 1980 weiß angestrichen. Übrigens: Dieser „rothe Winkelstein" aus Seelbach, der in der Biebricher Rotunde präsent ist, muss Anfang des 18. Jahrhunderts für Liebhaber ein Renner gewesen sein. Unterlagen zufolge wurde im Jahre 1712 auf Verlangen des Trierer Kurfürsten als Grundherrn dem Villmarer Schultheißen eine Liste der Seelbacher „Winkelsteine" übergeben, welche Stücke in 447 Tagen gebrochen wurden. Unter den 54 aufgezählten Steinstücken sind unterschiedliche Größen und Arbeitszeiten erkennbar. Ein Beispiel: „...für ein Stück Stein 12 Schuh lang (3,60 m), 3 Schuh breit (0,90 m) und 1 1/2 Schuh dick (0,45 m), Arbeitszeit 25 Tage". Der Lohn eines Steinhauergesellen für einen Tag dieser schweren Handarbeit betrug 1/2 Gulden. Dabei musste der Meister das Handwerkszeug zur Verfügung stellen. |