Im 19. Jahrhundert, Leben in der neuen Heimat.

Der Villmarer Auswanderer Johann Groß (Gross) in Milwaukee

Immer öfters kommen aus den USA Anfragen von Familienforschern an Kirchen-, Staats-, Stadt- und Pfarrarchive, aber auch an Privatpersonen, mit der Bitte um Auskunft oder Unterstützung bei der Spurensuche nach jenen Vorfahren, die durch Auswanderung in den vergangenen Jahrhunderten in Amerika eine neue Heimat fanden. So auch David Gross, Geologe aus San Francisco, ein Nachkomme des 1847 aus Villmar ausgewanderten Johann Groß(Gross), der bereits dreimal mit seiner Frau Patty die Geburtsstätte seines Vorfahren aufsuchte. Hier fand er in Kirchenbüchern und Archiven Daten und Urkunden der Familien Groß bis zum Anfang des 17.Jahrhunderts.

Der Villmarer Johann Gross (*1822 in Villmar, + 1898 in Milwaukee)

Davids Urgroßvater Johann Gross wurde als Sohn des Matthias Gross und Katharina geborene Brahm am 8. 4. 1822 in Villmar an der Lahn geboren. Der Vater Matthias war Landwirt und starb am 16. Juli 1822 nachmittags „um 4.oo Uhr", so die Eintragung im Sterberegister. Nach mündlicher Überlieferung wurde er beim Öffnen des Scheunentores von dem dahinter eingespannten Pferd mit Wagen erfasst, überrollt und tödlich verletzt. Er hinterließ seine Frau Katharina und den drei Monate alten Sohn Johann. Nach dem Tode des Großvaters Anton 1826 setzte ihn seine Großmutter Anna Maria Gross geborene Löw (* Treisfurter Hof) als alleinigen Erben eines damals beträchtlichen Vermögens ein. Laut Testament erhielt er als vierjähriger Enkel neben Geld, ein Haus mit Scheune und Stall in Villmar in der Hintergasse (Neugasse ?) sowie Äcker im Gesamtwert von 825 Gulden.

Am 2. Januar 1825 heiratete seine Mutter Katharina als 22jährige Witwe den ledigen Bauer Adam Caspari IV. In dieser Ehe schenkte Katharina ihrem zweiten Gatten weiteren neun Kindern das Leben.

Fortan lebte Johann Groß mit seiner Mutter, dem Stiefvater Adam Caspari sowie den vielen Stiefgeschwistern, darunter Jakob (*1826) mit dem er sich besonders gut verstand, in häuslicher Gemeinschaft. Nach dem Besuch der Schule, erlernte den Beruf als Schneider.

 

Neue Heimat in den USA

Warum zog es Johann Gross nach den USA ? Wie erging es diesem als Emigrant ? Fragen, denen David Gross als Urenkel aus San Francisco nach 150 Jahren nachging und von denen er jetzt Interessantes zu berichten wusste.

 

Johann Gross kam 1847 als Erster der Sippe über den großen Teich von Villmar in das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten". Den Schritt zu neuen Ufern wagte er möglicherweise wegen der Armut jener Tage in Villmar sowie der politisch unruhigen Zeit im Nassauischen Lande. Zudem hatte es sich herumgesprochen, dass deutsche Wertarbeit in den USA gefragt war.

 

Familiengründung

Am 9. September 1847 kam er von Bremen kommend per Schiff in New York an. Weiter ging der Weg nach Milwaukee bis zur der Huron Street. Johann Gross lernte in der neuen Heimat Katharina Brah (*1832), eine Auswanderin aus Winden im Taunus, kennen und lieben. Diese war etwa 1844 mit ihren Eltern Matthias und Elisabeth geb. Schwank und mehreren Geschwistern nach Amerika ausgewandert. Das erste Dach über dem Kopf war ein Zelt. Das nötige Wasser pumpten sie aus der Erde.

Gerade 28jährig heiratete Johann am 30.Juli 1850 die 18jährige Katharina in der Old Mary´s Kirche in

 

Milwaukee vor, deren Grundstein 1841 gelegt wurde .Weil damals die Mitglieder der neuen Gemeinde erst vor kurzem zu diesem Land gekommen waren, hatten sie wenig Geld und halfen kräftig beim Aufbau mit. Die Frauen fertigten die Ziegelsteine in ihren Öfen zu Hause, während die Männer große Bäume fällten und die als Baumaterial benötigt wurde. . Die Kirche ist heute noch erhalten. ( siehe Abbildung) Die Trauung nahm Reverend Dr. Salzmann vor, der spätere Pfarrer und Gründer des St. Francis (Priester-) Seminars in Milwaukee

Kaum hatte er familiären Boden unter den Füßen, ließ er aus Villmar im Juni 1851 den Rest der Großfamilie, seine Mutter Katharina Caspari mit Stiefvater Adam und den Halbgeschwistern nachkommen. Freundlicherweise übermittelte uns Chris Bezoenik, eine Nachkommin der Familie Caspari in den USA, die Immigrationspapiere von Adam Caspari ( Caspary), in denen Johann Gross und sein Schwiegervater Mathias Brah 1851 als Bürgen unterzeichneten sowie ein Foto der Familie des Halbruders Jakob Caspari aus dem Jahre 1875

Nur 9 Monate später, am 22. 9.1852, verstarb seine Mutter Katharina Capari mit 49 Jahren in der neuen Heimat. Sein Stiefvater Adam Caspari segnet das Zeitliche im Jahre 1877. Mit seinen Halbgeschwistern hatte Johann Gross bis zu seinem Tode ein gutes Verhältnis. Besonders bei seinem Halbbruder Jakob Caspari (*1826 in Villmar), der in Villmar Wagner gelernt hatte und später in Milwaukee eine große Farm besaß, war er des öfteren zu Gast.
Jakob Caspari (*1826 in Villmar + 1898 in Milwaukee) mit Ehefrau Anna Maria (*1828 ? gest.1903 in Milwaukee mit seinen Söhnen um 1890

Deutsche Wertarbeit

Als Schneider eröffnete Johann Gross zunächst ein Geschäft in der Johnson St. Im April 1853 nahm er als Partner John Noll in seinen Betrieb. Die Firma „Noll & Gross" galt als eine sehr moderne Schneiderei. Das Geschäft lag östlich des Milwaukee Rivers, der damals noch ein sauberer Fluss war, in dem die Frauen die Kleider wuschen und die Kinder schwimmen konnten. Das Kellergeschoss unter der Schneiderei konnte für vielfältige Zwecke verpachtet werden. Die Söhne der Familie Gross galten als modische Vorzeigemodelle in der Stadt. Wenn enge Hosen in Mode waren, mussten sie sich gegenseitig helfen, um in die hautengen Hosen zu gelangen. Vater Johanns Ausgehanzug war schwarz und elegant geschnitten. Dazu trug er einen seidenen Zylinder, eine gute Werbung für sein Garderobe-Angebot. Gross trug dabei einen schweren Stock mit einem goldenen Knauf. Er war geschickt, zu reimen und zu dichten, natürlich auf deutsch. Die Firma „Noll & Gross" annoncierte in den deutschen Zeitungen mit Versen, mit einem Schuss Humor, nach dem die Menschen in dieser Zeit suchten. Eine woran sich viele erinnern war bei Sonderverkäufen: Bei Noll und Gross ist der Teufel los". Im Oktober 1864 trennte sich J.Gross sich von seinem Partner Noll und betrieb die Schneiderei im Alleingang. Später gab es für sechs Söhne und eine Tochter der Gross-Famlie leider nicht genügend Arbeit in der eigenen Werkstat., also mussten sich einige eine andere Arbeit suchen. Schmerzhaft war der Tod seiner geliebten Frau Katharina (*in Winden), die nach 28jähriger Ehe im März 1878 in Milwaukee verstarb und in einem Familiengrab ruht.  

Kohle- und Holzhandel

Um 1884 kamen kleine Segelboote mit zusammengeschnürtem Holz vom Michigan-See über den Fluss in die Stadt. Dies brachte Johann Gross auf die Idee, ins Brennstoff-Geschäft einzusteigen. Es würde Beschäftigung für seine Söhne bringen. Im Mai 1884 wurde eine Reklame auf deutsch aufgegeben in der stand: "Johann Gross und Söhne, Kohle- und Holzhandel". Das Geschäft florierte so, dass er 1893 seine Schneiderei an den Nagel hing. Die neue Firma konnte sich gewaltig vergrößern. Zum Geschäftsareal gehörte der ganze Block und der Südteil der Canal Street . Auch die Arbeitsweise ändert sich mit den Jahren. Zuerst wurden die Boote, welche Kohlen über die großen Seen von Pennsylvania brachten, mit Schaufeln entladen und die Fracht mit einem Pferdewagen weiter transportiert. Später waren eiserne Kübel und Dampfmaschinen erforderlich. Die Boote und die Maschinen wurden größer und moderner. Nach dem Tod von Johann Gross übernahmen seine Söhne Frank, Adam und Joseph die Kohlefirma, die sich 1918 mit weiteren Firmen zusammenschloss und sich „United Coal & Dock Co" nannte. Am 7. Februar 1898 ging der Lebensweg des Villmarer Johann Gross zu Ende. Zeit seines Lebens war er sehr beliebt. „ Wir sind stolz auf unseren deutschen Vorfahren. Er war ein Vorbild für alle Nachkommen der Gross-Sippe in den USA", so David Gross aus San Francisco..

Die Familie des Ahnenforschers David Gross in San Farncisco 2004, rechts, Patty und David Groß mit Kindern und Enkeln.