Gründung des Villmarer Kameradschaftlichen Vereins 1872

Unter dem Eindruck des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 und der anschließenden Welle nationaler Euphorie bildeten sich überall im neu geschaffenen deutschen Kaiserreich Militärvereine, in. denen sich vor allem die Veteranen des Kriege von 1870/71 zusammenfanden. So auch in Villmar, wie ein im Jahre 2003 vorgefundenes Dokument im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden bezeugt. Es sind die am 5.Juli. 1872 verfassten und zur Genehmigung vorgelegten Statuten zur Gründung des Villmarer „Kameradschafts-Vereins". Demnach wurde am 6. August desgleichen Jahres der Gründungstag festlich begangen. Der bisher entdeckte Beleg hält fest.

1.„Der Zweck des Vereins ist, daß durch die allgemeine Wehrpflicht hervorgerufene kameradschaftliche Verhältnis zu erhalten, zu fördern und durch passende Vorträge zu befestigen.
2.Alle Vorträge staatsfeindlicher Inhalte sowie Diskussionen politischer Tendenzen sind untersagt
3. Mitglied des Vereins kann nur derjenige werden, welcher den Beweis beigebracht hat,
dass er seine Militärpflicht Genüge geleistet und mit keiner entehrenden Strafe belegt worden ist. Solche, welche ihrer Militärpflicht nicht genügt haben, unbescholten sind und den Vereinsfesten beizuwohnen wünschen, können ausnahmsweise, jedoch nur für die Dauer eines Monats, in welcher die Festlichkeit statt findet, zu derselben zugelassen werden. Hierüber hat der Vorstand zu entscheiden. Jedes neue aufzunehmende Mitglied hat sich bei einem Vorstandsmitglied zu melden und entscheidet aber über dessen Aufnahme die geheime Abstimmung der Vereinsmitglieder.
4. Beträgt sich ein Vereinsmitglied unmoralisch und statutwidrig, so kann sein Ausschluß aus dem Verein vom Vorstande beantragt werden, worüber die Abstimmung der Vereinsmitglieder entscheidet. Jeder der während seiner Mitgliedschaft wegen eines entehrenden Verbrechens bestraft wird, wird sofort in der Liste gestrichen.
5. Wer freiwillig aus dem Verein ausscheiden will, hat dies schriftlich dem Vorstande anzuzeigen. Die Wiederaufnahme eines solchen ausgetretenen Mitgliedes ist jedes mal von einer besonderen Wahl sämtlicher Vereinsmitglieder abhängig.
6. Wohnungsänderungen sind vom Vorstande in einem Appell nach dem Umzuge anzuzeigen. Die Mitgliedschaft geht nicht verloren, wenn die Beiträge fortwährend gezahlt werden.
7.Der Beitrag zur Vereins Casse ist auf 1 Gr. per Monat gesetzt; Der Beitrag kann für das ganze Jahr vorausgezahlt werden, muß aber bis spätestens 1.Januar.laufenden Jahres entrichtet sein. Wer mit Zahlung seiner Beiträge im Rückstand bleibt, wird als ausgeschieden betrachtet.
8. Jedes neue ordentliche Mitglied zahlt bei seinem Anfang an Eintrittgeld 10 Gr (Groschen) Teilnehmende Freunde haben diejenige Beiträge zu entrichten, welche der Vorstand zu den einzelnen Festlichkeiten näher bestimmt.
9. Der Verein wählt sich einen Vorstand, bestehend aus dem Präsidenten Vizepräsidenten, einem Vereinsrechner, und 4 Beisitzern. Die Wahl der Beamten und Vorstandsmitgliedern findet jährlich in der ersten Appellverhandlung nach dem Stiftungsfeste statt.
10. Alle Ämter sind Ehrenämter. Bei allen Verhandlungen führt der Präsident oder dessen
Vizestellvertreter den Vorsitz und leitet die Verhandlung der Vizepräsident oder dessen Stellvertreter. Einer der Beisitzende führt ein summarisches Protokoll über stattgehabte Vorträge und Beschlüsse, vermerkt darin die Anschaffung, die der Verein gemacht, sowie die Geschenke welche der Verein erhalten oder bewilligt hat. Dieses Protokoll wird von den anwesenden Vorstandsmitgliedern unterzeichnet. Der Präsident mit dem Vizepräsidenten zeichnet alle Anweisungen auf die Vereinskasse nach vorher ergangenen allgemeiner Abstimmung der Vereinsmitglieder; auch unterzeichnet der Präsident namens des Vereins die Correspondens. Die Verwaltungsgeschäfte werden durch den Vorstand besorgt, der in wichtigen Angelegenheiten durch den Präsident zu einer Konferenz berufen wird. Der Vizepräsident führt die Stammrolle der Mitglieder Der Rechner für ein Journal und eine Namensliste über sämtlicher Vereinsmitglieder Er führt Buch über Einnahmen und Ausgaben, sowohl der regelmäßigen Beiträge als Eintrittsgelder. Beim Beginn eines jeden Jahrs das heißt einen Monat vor jedem Stiftungsfeste legt er Rechnung ab und wird diese durch 2 Mitglieder aus dem Verein welche der Präsident hierzu beruft geprüft, das Konsultat der Generalversammlung vorgelegt und demnächst dechergiert.
11. Die Wahl der Beamten und Vorstandsmitglieder findet jährlich in der ersten Appellversammlung nach dem Stiftungsfeste statt. Die Ausscheidenden können wieder gewählt werden.
12. Bei allen Abstimmung entscheidet die einfache Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
13. Die Versammlung der Vereinsmitglieder findet am 1. Sonntag eines jeden Monates statt. Die Einladung der Mitglieder bei außergewöhnliche Fällen wird auf Kosten der Vereinskasse besorgt. Die Anrede in allen Versammlung ist „Kamerad".
14. Der Stiftungstag ist der 6. August (1872) und wird an dem selben Tage durch eine Festlichkeit gefeiert. Über die mit der Festlichkeit verknüpften Auslagen seitens Vereinsmitglieder und ihrer Kasse hat sich der Vorstand mit dem Verein zu benehmen.
15. Die aus dem Verein freiwillig oder unfreiwillig geschiedenen Mitglieder haben keinen Anspruch auf Rückzahlung der gezahlten Beiträge.
16. Behufs Controlle findet an allen Appell und Versammlungstagen eine Stunde nach Eröffnung der Sitzung die Vorlesung der sämtlichen Kameraden statt.
17. Bei krank werden eines Kameraden, die in dürftigen Verhältnissen leben, werden eine Unterstützung zur Kur und Arzneikosten nach Maßgabe des ihm zustehend Fonds und nach Beschluß der Vereinsmitglieder gewährt.
18. Jedes Mitglied hat die Verpflichtung die gestorbenen Kameraden zu Grabe zu geleiten. Jeder Vorfall der sofort von den Angehörigen dem Präsidenten zu melden ist, wird den Vereinsmitgliedern angezeigt. Der Präsident bestimmt Ort und Zeit der Versammlung und hat die nötigen Anordnungen zu
treffen.
19. Als Beitrag zur Bestreitung der Begräbniskosten zahlt die Vereinskasse 3 Thaler, außerdem leisten die Vereinsmitglieder durch freiwillige Beiträge einen angemessenen Zuschuß.
20. Sollte sich der Verein in irgendeiner Zeit auflösen, welche Auflösung jedoch nur, wenn die Mitgliederzahl bis auf 5 Mann herabgesunken ist erfolgen kann, so haben diese 5 Mitglieder das bei der Auflösung vorhandene Vermögen des Vereins als ihr Privateigentum in Anspruch zu nehmen.
Villmar den 5. Juli 1872. Im Namen des Vereins der Vorstand

 Christian May, Josef. Grimm, Joseph Scheu, Anton Schermuly, Wilhelm Flach, Jakob Falk, Philipp Jaik.


Edmund Jaik(*1930), ein Enkel des Vorstandsmitgliedes Philipp Jaik(*1845 + 1910), stellte freundlicherweise eine Abbildung des Großvaters Philipp mit seiner Ehefrau (sitzend) und seinen Kindern um 1890 zur Verfügung. Mit berechtigtem Stolz präsentiert der Veteran seine Ehrenmedaillen, als verdienter Mitkämpfer in der Schlacht bei Paris, 1870/71. Eine Urkunde, wie in der Abbildung ersichtlich, belegt die letzte Ehrung des „Musketier der Reserve" Philipp Jaick, am 31. Dezember 1871 durch den zuständigen Kommandeur in Weilburg.

Auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers und Königs ist vom Allerhöchstdemselben von erbeuteter Bronze gestiftete Kriegs-Gedenkmünze für Cobattanten dem Musketier der Reserve Phlipp Jaik, geboren am 21. Juli 1843 zu Villmar Kreis Oberlahn, in Anerkennung seiner pflichtgetreuen Theilnahme am siegreichen Feldzuge 1870-1871 von dem Unterzeichneten übergeben worden.
Weilburg den 31. Dezember 1871.

Dieses Dokument sowie Orden und Ehrenzeichen, wurden als kostbare Hinterlassenschaft in der Familie Jaik verwahrt. Leider verschwanden Ende März 1945, während einer eintägigen Beschlagnahme des Wohnhauses Jaik durch die amerikanische Besatzungsmacht, alle Medaillen als „Beutegut" auf nimmer Wiedersehn.

Wie wir heute wissen fungierte Christian May als Vorsitzender des Vereins bis zu seinem frühen Tode im Juli 1875. Als Künstler schuf er das Erinnerung- und Mahnmal an die 1870/71 erfolgten Schlachten in Frankreich , mit den Namen der Kriegsteilnehmer, die wahrscheinlich auch alle Mitglieder des neuen Kameradschafts Vereins waren.. Das aus Villmarer Marmor gefertigte Denkmal ist heute noch auf der linken Lahnhöhe an der alten Friedhofsmauer präsent.
Der Verein nannte sich ein Jahr nach der Gründung Krieger Verein , der am 20. Juli 1873auf einem Waldplatz (Struth ?) seine neue Fahne einweihte, so hält der Nassauer Bote in einer Notiz fest. Es war ein schönes Waldfest. Alle Stände hatten sich mitbeteiligt. Seiner Majestät schickte man nach Ems ein Telegramm. Das Kaiser- Auguste-Regiment von Koblenz spielte Musik"
(Quelle: HStAW Abt.405 /2615, S.268-270, Kgl Regierung in Wiesbaden, Abt. I, Registratur E, Militaria General- und Spezialakten, Betreff. Kriegervereine und Statuten)

Fahne des Militärvereins Villmar 1887-1912 (Bilder oben)


Veteranen
Die Villmarer Veteranen stellen sich , geschmückt mit Verdienstorden, zu Erinnerungsfotos, vermutlich um 1887.

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